GEORGES ADÉAGBO

»L’art est dans la nature! C’est l’art qui fait l’artiste. Ce n’est pas l’artiste qui fait l’art!«

»Die Kunst ist in der Natur! Es ist die Kunst, die den Künstler macht! Es ist nicht der Künstler, der die Kunst macht«

Foto: MAK
Portrait
VON SUSANNE KUNCKEL

Die Begegnung der Dinge

Egal, wo er gerade steckt - in Afrika, Venedig, Shanghai, Kassel oder Hamburg – Georges Adéagbo ist auf der Suche.

Das Unscheinbare und Weggeworfene zieht ihn magisch an. Er durchstöbert Flohmärkte und Antiquariate, sucht, sammelt, notiert, ergänzt und arrangiert seineSchätze dann zu komplexen Installationen, die Geschichten erzählen.

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Gerade hat Georges Adéagbo auf dem Boden eines Hamburger Treppenhauses so eine „Geschichte“ inszeniert: Im Zentrum ein kleines Flugzeugmodell, das auf dem Foto einer Dünenlandschaft zu landen scheint, darüber eine am Himmel rasende Pferdekutsche auf der Abbildung eines Renaissance-Gemäldes; daneben Bücher über den Weg ins All, über Thermik und die Mondlandung, ein Plüschtier, ein Stiletto, das Foto einer Flugschau und eines Flüchtlingsbootes, ein Poster mit A380-Flugzeugen, eine ausgelatschte Sandale… Wie zufällig hingelegt wirkt dieses Stillleben auf den ersten Blick. Doch bei näherem Hinsehen gibt es Rätsel auf. Grenzen verschwimmen, Bedeutungen schwanken, der Betrachter beginnt zu assoziieren.

Vielschichtig sind die Werke von Georges Adéagbo, 75, der aus dem westafrikanischen Benin stammt. Es sind kulturgeschichtliche Puzzles, die scheinbar Bekanntes und Fremdes in verblüffende Zusammenhänge stellen. Ob er sich den „kolonialen Entdecker“ vornimmt oder Edith Piaf, Abraham Lincoln, die Globalisierung, Berlin oder Airbus in Hamburg – nie sind diese Arrangements eindeutig.

Inzwischen füllen sie ganze Säle in Galerien und Kunstmuseen, sind Teil der Sammlungen des Museum of Art in Philadelphia und des Kölner Museum Ludwig oder des Moderna Museums in Stockholm.

Auch auf der Biennale in Venedig und der documenta ist Adéagbo gern gesehener Gast. Jetzt erhält er den Finkenwerder Kunstpreis – mit 20.000 Euro eine der höchstdotierten Kunstauszeichnungen in Europa.

Dabei versteht er sich gar nicht als Künstler: „Kunst ist in der Natur und immer schon da. Sie macht den Künstler“, behauptet er. Georges Adéagbo ist ein nachdenklicher und scheuer Mann, der im Gespräch fast abwesend wirkt, aber loslegt, wenn man ihn nach seinem Antrieb fragt: „Man muss etwas machen, und die anderen es dann sehen und darüber reden lassen. Jeden Tag, wenn ich spazieren gehe, finde ich weggeworfene Dinge und nehme diejenigen mit, die zu mir sprechen. Mit ihnen erzähle ich eine Geschichte“, sagt Adágbo und ergänzt: „Kunst ist eine Art zu leben, eine Art mit seinem Nächsten zu sprechen, ohne sich ihn zum Feind zu machen…“

Seit Anfang der 70er-Jahre erzählt er mit assoziativen Netzwerken Geschichten. Alles begann im Sand, im Hof des Hauses der Familie Adéagbo in der westafrikanischen Küstenstadt Cotonou. Aus reiner Not. George, Sohn aus wohlhabender Familie, studierte in Frankreich Jura und Betriebswirtschaft, als sein Vater starb, der drei Frauen und 11 Kinder hinterließ. Georges, der älteste Sohn, musste nach Afrika zurückkehren und die Rolle des Clan-Chefs übernehmen. Als er sich weigerte, stahlen Familienangehörige seinen Pass und isolierten ihn. Keiner sprach mehr mit ihm. In seiner Einsamkeit ging er stundenlang spazieren und begann zu sammeln, was die Stadt ihm in den Weg legte. Seine Fundstücke arrangierte er im Hof des Hauses: Zeitschriften, Schallplattenhüllen, Groschenromane, Kleidungsstücke, traditionelle Masken und Skulpturen. Strandgut kam dazu und viele handgeschriebene Kommentare – Netzwerke in immer neuen Variationen. Die Sammlungen wuchsen, die Familie erklärte ihn für verrückt, ließ ihn immer wieder in psychiatrische Kliniken einweisen.

Doch die Ärzte durchschauten die Intrigen der Angehörigen, ließen Georges Adéagbo meist schnell wieder gehen oder beschäftigten ihn als Betreuer.

Durch Zufall entdeckte ein französischer Kurator 1993 den Adéagbo-Hof und seine Schätze. Der Kunstexperte konnte sich an der Napoleon-Installation, die Adéagbo damals gerade kreierte, nicht sattsehen und zeigte die Fotos aus Benin seinen Kollegen. Nach 23 Jahren in der Isolation kehrte Adéagbo erstmals nach Europa zurück. Dann ging es Schlag auf Schlag: 1995 Installationen in Genf und London, 1997 die Biennale in Johannesburg, 1999 der Jury-Preis auf der Biennale von Venedig, 2002 documenta 11, 2009 abermals Venedig, 2014 Ausstellungen in Berlin, Stockholm und Rio.

Heute lebt Georges Adéagbo abwechselnd in Hamburg und Benin. Immer wieder zieht es ihn in seine Heimat zurück, wo er nun im Hof seines eigenen Ateliers seine Fundsachen arrangiert und die dazugehörigen Notizen mit Steinen beschwert, damit der Wind sie nicht verweht. Bis zur Dämmerung lässt er seine Erkenntnisse auf sich wirken, sammelt sie wieder ein und startet bei Tagesanbruch einen neuen Weltentwurf. Bis er wieder aufbricht und mit seinen Schätzen zum nächsten Ausstellungsort fliegt, dort weiter sucht, sammelt, liest und notiert, um das Gefundene in seine nächste „Geschichte“ zu verweben…

Biographie

Der Konzeptkünstler Georges Adéagbo wurde 1942 in Cotonou (Benin) geboren. Er lebt und arbeitet in Cotonou und Hamburg.

Nach seinem Jurastudium in Abidjan (Elfenbeinküste) und Rouen kehrte Adéagbo 1968 nach Benin zurück. Bis er 1993 von einem europäischen Kurator durch Zufall entdeckt wurde, machte er täglich komplexe Installationen in seinem Hof, ohne sich als Künstler zu verstehen. 1994 wurde er zu seiner ersten Ausstellung eingeladen.

Ab diesem Zeitpunkt setzt er seine ortsspezifischen Installationen mit einem Team von Handwerkern in Benin um. 1999 nahm er an der Biennale von Venedig teil und erhielt für seine Installation auf dem Campo Arsenale als erster Künstler aus Afrika eine Auszeichnung. 

Spätestens seit 2002, als Adéagbo im Rahmen der von Okwui Enwezor kuratierten documenta 11 in Kassel eine In-Situ-Installation präsentierte, die später in modifizierter Form in die Sammlung des Museum Ludwig in Köln überging, gehört Adéagbo zu den renommiertesten Künstlern Afrikas.

Seine Werke sind in weiteren großen Sammlungen zu finden, z.B. im Philadelphia Museum of Art, Toyota City Museum, Moderna Museum Stockholm, Israel Museum Jerusalem und der Sammlung der Gegenwartskunst der Bundesrepublik Deutschland, Bonn.

  • 1997
    JOHANNESBURG

    Biennale

  • 1998
    SAO PAOLO

    Biennale 

  • 1999
    VENEDIG

    Biennale

  • 2000
    NEW YORK

    P.S.1

  • 2001
    MÜNCHEN

    The Short Century, von Okwui Enwezor, Museum Villa Stuck, 

  • 2002
    KASSEL

    documenta 11

  • 2005
    BRUXELLES 

    Belgique Visionnaire von Harald Szeemann, Bozar

  • 2006
    PHILADELPHIA

    Museum of Art 

  • 2008
    FLORENZ

    Palazzo Vecchio

  • 2009
    WIEN + VENEDIG

    MAK + Biennale 

  • 2011
    LEÒN + HELSINKI

    MUSAC + ARS 11 Kiasma

  • 2012
    PARIS + BENIN

    Triennale + Biennale Regard Benin 

  • 2014
    BERLIN + STOCKHOLM 

    Galerie Wien + Moderna Museum 

  • 2015
    HAMBURG + LEIDEN + DÜSSELDORF

    Inverted Space + Global Imaginations + The Problem of God/ K21 

  • 2016
    JERUSALEM + KÖLN + SHANGHAI

    Israel Museum + Museum Ludwig + Shanghai Biennale

Zugang zum Archiv Adéagbo auf Anfrage an Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein.

Kunst_Modern_Art Kunst_Modern_Art
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Arbeiten

Georges Adéagbo vertauscht die Rollen „Entdeckte“ und „Entdecker“, indem er unvoreingenommen an jedem Ausstellungsort Spuren der jeweiligen Kulturen sammelt und sie mit entsprechenden Dingen aus Westafrika durch seine Texte vernetzt. Er sucht in seinen Assemblagen gemeinsame Nenner von Lebensweisen, um zu zeigen, dass nur Kollaborationen die Probleme dieser Welt lösen können.

Seit Mitte der 1990er Jahre war er regelmäßig in namhaften Ausstellungen vertreten und erhielt 1999 als erster afrikanischer Künstler für seine Teilnahme bei der 48. Biennale von Venedig eine Auszeichnung. 2002 war er mit einer In-Situ-Installation auf der Documenta 11 vertreten und hatte u. a. Einzelausstellungen im Museum Ludwig, Köln (2004), MAK, Wien (2009), MUSAC Leon (2011) und im Moderna Museet, Stockholm (2014).

Er gehört damit zu den bekanntesten Künstlern Westafrikas mit internationaler Reputation. In Hamburg hat er zuletzt 2015 in Zusammenarbeit mit dem Kulturforum Süd-Nord (Stephan Köhler) und dem Projekt „Stadtkuratorin“ die Installation „Inverted Space“ im öffentlichen Raum gezeigt.

Charakteristische Sprüche

Adeagbo sieht sich als Archäologe der Motivationen, die Menschen und ihre Handlungen lenken. Er sieht sich nicht als selbst proklamierter Künstler, sondern als jemand der offene Augen für das hat, was er Dingen und Bildern an Orten finden kann, (dans la nature) und dann in assoziativ vernetzt.

L'Art est un miroir dans lequel on se voit tel qu'on est. Kunst ist ein Spiegel, in dem man sich so sieht wie man ist.

L'archéologie est la science de la recherche et la découverte des mystères qui régissent un pays, une ville ou une personne. Archäologie ist die Wissenschaft der Recherche und Entdeckung der Mysterien, die ein Land, eine Stadt, oder eine Person lenken.

L'Art est dans la nature! Ce n'est pas l'artiste qui fait l'art, c'est l'art qui fait l'artiste. Kunst ist in der Natur, es ist nicht der Künstler der Kunst macht, sondern Kunst die den Künstler macht.

Laudatio
VON FRAU DR. BRIGITTE KÖLLE (LEITUNG SAMMLUNG KUNST DER GEGENWART, HAMBURGER KUNSTHALLE)

Sehr geehrte Damen und Herren,

cher Georges Adéagbo,

Von Adéagbos Kunst zu sprechen, bedeutet nicht, ein fertiges Oeuvre oder eine Reihe in sich geschlossener Werke zu betrachten, sondern vielmehr ein methodologisches Feld vor sich zu haben, das weder Zentrum, noch Anfang oder Ende hat.

Wo also anfangen?

Lassen Sie mich mit Georges Adéagbos Lebensweg beginnen. Diese Entscheidung ist ungewöhnlich, macht aber m.E. sehr wohl Sinn. Zum einen ist Adéagbos interessante Biografie es wert, erzählt zu werden. Zum anderen – und das ist der eigentliche Grund – spiegelt sich Adéagbos Leben in seiner Kunst und vice versa.

Eine enge Verzahnung von persönlicher und kollektiver Geschichte, die permanente Hinterfragung gültiger Parameter, ein Netz an verschiedenen Bedeutungsebenen über Zeiten und Räume hinweg prägen und kennzeichnen seinen Lebensweg und seine Kunst gleichermaßen.

1942 wurde Georges Adéagbo in Cotonou in Benin, Westafrika, als ältester Sohn von 11 Kindern geboren. Sein Studium der Rechts- und Wirtschaftswissenschaften in Paris musste er abbrechen, als er 1971 nach dem Tod seines Vaters von seiner Familie in die westafrikanische Heimat zurückgeholt wurde. Als ältester Sohn hatte er den Lebensunterhalt der vielköpfigen Familie zu verdienen.

Über 20 Jahre (!) schuf Adéagbo seine Materialcollagen ausschließlich im privaten Umfeld, in dem Hof seines Hauses in Benin, allein und für sich, unbemerkt vom internationalen Kunstbetrieb. Er bekam dabei radikal und gnadenlos die Grenzen familiärer Tradition und gesellschaftlicher Akzeptanz zu spüren. 1993 wurde er „entdeckt“, zum Künstler erklärt und im folgenden Jahr zu seiner ersten Ausstellungsbeteiligung nach Frankreich eingeladen. So begann seine internationale Künstlerkarriere.

1999 erhielt er als erster afrikanischer Künstler für seine Teilnahme bei der Biennale von Venedig den Ehrenpreis der Jury. Spätestens seit seiner Installation bei der documenta 11 im Jahr 2002, ist er einer der renommiertesten Gegenwartskünstler Afrikas. Adéagbo ist regelmäßig in namhaften Ausstellungen vertreten. Er hatte unter anderen Einzelausstellungen im Museum Ludwig, Köln (2004), im Wiener MAK (2009) oder im Moderna Museet, Stockholm (2014). Zuletzt war er an der Shanghai Biennale (2016) beteiligt. Heute ist seine Wahlheimat Hamburg. Adéagbo pendelt zwischen hier und Benin hin- und her, wenn er nicht gerade für seine zahlreichen internationalen Projekte auf Reisen ist.

Was jedoch kennzeichnet seine Kunst?

Zuallererst kennt sie keine Grenzen, wie auch Adéagbo selbst keine Grenzen kennt. Genauer gesagt: Er hat sehr wohl Grenzen erlebt und erfahren, akzeptiert diese jedoch nicht, sondern weitet sie aus, deutet sie um, stellt sie in Frage.

Weggeworfenes, Verlorenes, Wiedergefundenes, Bücher, Objekte, Stoffe, Ephemeres, eigene Texte, Informationen über den Ausstellungsort und in Auftrag gegebene Skulpturen, Masken oder Bilder verwandelt Adéagbo zu raumgreifenden Installationen. Diese breiten sich auf dem Boden aus, erklimmen Wände, verspannen den Raum. Ein Kosmos aus Zitaten und Artefakten entsteht. Das Sammeln, Reflektieren, Arrangieren und Gegenüberstellen von „objet trouvés“, also gefundenen Objekten, bestimmen Adéagbos künstlerische Praxis. Er malt also keine Bilder, er zeichnet oder

fotografiert nicht, er stellt keine Skulpturen her und auch keine Videos. Adéagbo denkt. Seine Kunst gleicht einer singulären und originären Praxis des Denkens. Er nimmt wahr, er entdeckt, er deckt auf, er ergründet, er setzt in Beziehung, er lässt die Dinge erzählen und miteinander ins Gespräch kommen. Seine Kunst ist eine Einladung, seinen ausgelegten Wegen zu folgen, sich auf unterschiedliche Bedeutungsebenen einzulassen, vielfältige Lesarten zu erproben. Bei Adéagbo gibt es kein Entweder/ Oder, sondern ein entschiedenes Sowohl/ Als auch.

Auf seinen vielen Reisen durch die afrikanische und die europäische Welt trägt Adéagbo Interessantes wie Banales, Bedenkenswertes wie Ephemeres zusammen, setzt es miteinander in Beziehung und kreiert temporäre Ordnungen. Seine künstlerische Praxis gleicht der eines Archivars wie auch der eines Archäologen.

Alles ist schon da, es muss nur wahrgenommen und gesehen werden.

Adéagbo selbst versteht sein künstlerisches Schaffen als eine „Archäologie der Dekolonisation“. An jedem Ausstellungsort sammelt er Spuren der jeweiligen Kulturen und vernetzt sie mit Objekten aus Westafrika. Die Versatzstücke verschiedener Zeiten, Räume und Kulturen werden jedes Mal immer wieder orts- und themenspezifisch zusammengestellt. Dinge und Ideen werden bewegt, in Beziehung zueinander gesetzt, ein gleichwertiges Nebeneinander ermöglicht. So entstehen Erzählungen, die einer einseitigen Leseweise der Geschichte entgehen. Vielfältige Perspektiven tun sich auf, in der Alltägliches und Banales neben Objekten der Hochkultur und akademischen Diskursen Bestand haben. Der Bezug zu Benin und der jeweilige lokale Bezug zum Ausstellungsort sind Konstanten in seiner Kunst, die sich regelmäßig zu globaler Bandbreite ausdehnt. Aus der Beziehungsgeschichte von westlicher Hegemonie und Afrikas postkolonialer Geschichte entwickelt sich ein hochpolitischer Diskurs, der -- frei von Propaganda und Didaktik--, Raum lässt fürs eigene Nachdenken.

In seinen installativen Assemblagen reflektiert Adéagbo deutliche und übersehene Spuren (post)kolonialer Geschichte. Seine Betrachtung deutscher Geschichte und seine Beobachtungen der hiesigen Alltagswirklichkeit verbindet er mit der europäischen Kolonialgeschichte und der Kultur seiner westafrikanischen Ursprungsheimat. Dabei erzählt er en passant von unseren Fantasmen über den und die Anderen.

Adéagbo macht die Komplexität kultureller Identität anschaulich, ohne zu belehren; er zeigt Differenzen zwischen den Kulturen auf und überwindet diese gleichzeitig. Vor allem bringt er alles und alle miteinander ins Gespräch.

Das ist eine besondere Fähigkeit.

George Adéagbo versucht, wie es Stephan Köhler einmal so einfach wie treffend formuliert hat, „die Dinge des Alltags und die Gegebenheiten des Jahrhunderts zu verstehen“. Er denkt nach, versucht zu verstehen, und nimmt uns dabei mit.

Vielen Dank dafür und herzlichen Glückwunsch zum Finkenwerder Kunstpreis, cher Monsieur Adéagbo.

Inzwischen füllen sie ganze Säle in Galerien und Kunstmuseen, sind Teil der Sammlungen des Museum of Art in Philadelphia und des Kölner Museum Ludwig oder des Moderna Museums in Stockholm.

Auch auf der Biennale in Venedig und der documenta ist Adéagbo gern gesehener Gast. Jetzt erhält er den Finkenwerder Kunstpreis – mit 20.000 Euro eine der höchstdotierten Kunstauszeichnungen in Europa.

Dabei versteht er sich gar nicht als Künstler: „Kunst ist in der Natur und immer schon da. Sie macht den Künstler“, behauptet er. Georges Adéagbo ist ein nachdenklicher und scheuer Mann, der im Gespräch fast abwesend wirkt, aber loslegt, wenn man ihn nach seinem Antrieb fragt: „Man muss etwas machen, und die anderen es dann sehen und darüber reden lassen. Jeden Tag, wenn ich spazieren gehe, finde ich weggeworfene Dinge und nehme diejenigen mit, die zu mir sprechen. Mit ihnen erzähle ich eine Geschichte“, sagt Adágbo und ergänzt: „Kunst ist eine Art zu leben, eine Art mit seinem Nächsten zu sprechen, ohne sich ihn zum Feind zu machen…“

Seit Anfang der 70er-Jahre erzählt er mit assoziativen Netzwerken Geschichten. Alles begann im Sand, im Hof des Hauses der Familie Adéagbo in der westafrikanischen Küstenstadt Cotonou. Aus reiner Not. George, Sohn aus wohlhabender Familie, studierte in Frankreich Jura und Betriebswirtschaft, als sein Vater starb, der drei Frauen und 11 Kinder hinterließ. Georges, der älteste Sohn, musste nach Afrika zurückkehren und die Rolle des Clan-Chefs übernehmen. Als er sich weigerte, stahlen Familienangehörige seinen Pass und isolierten ihn. Keiner sprach mehr mit ihm. In seiner Einsamkeit ging er stundenlang spazieren und begann zu sammeln, was die Stadt ihm in den Weg legte. Seine Fundstücke arrangierte er im Hof des Hauses: Zeitschriften, Schallplattenhüllen, Groschenromane, Kleidungsstücke, traditionelle Masken und Skulpturen. Strandgut kam dazu und viele handgeschriebene Kommentare – Netzwerke in immer neuen Variationen. Die Sammlungen wuchsen, die Familie erklärte ihn für verrückt, ließ ihn immer wieder in psychiatrische Kliniken einweisen.

Doch die Ärzte durchschauten die Intrigen der Angehörigen, ließen Georges Adéagbo meist schnell wieder gehen oder beschäftigten ihn als Betreuer.

Durch Zufall entdeckte ein französischer Kurator 1993 den Adéagbo-Hof und seine Schätze. Der Kunstexperte konnte sich an der Napoleon-Installation, die Adéagbo damals gerade kreierte, nicht sattsehen und zeigte die Fotos aus Benin seinen Kollegen. Nach 23 Jahren in der Isolation kehrte Adéagbo erstmals nach Europa zurück. Dann ging es Schlag auf Schlag: 1995 Installationen in Genf und London, 1997 die Biennale in Johannesburg, 1999 der Jury-Preis auf der Biennale von Venedig, 2002 documenta 11, 2009 abermals Venedig, 2014 Ausstellungen in Berlin, Stockholm und Rio.

Heute lebt Georges Adéagbo abwechselnd in Hamburg und Benin. Immer wieder zieht es ihn in seine Heimat zurück, wo er nun im Hof seines eigenen Ateliers seine Fundsachen arrangiert und die dazugehörigen Notizen mit Steinen beschwert, damit der Wind sie nicht verweht. Bis zur Dämmerung lässt er seine Erkenntnisse auf sich wirken, sammelt sie wieder ein und startet bei Tagesanbruch einen neuen Weltentwurf. Bis er wieder aufbricht und mit seinen Schätzen zum nächsten Ausstellungsort fliegt, dort weiter sucht, sammelt, liest und notiert, um das Gefundene in seine nächste „Geschichte“ zu verweben…

Grußwort
VON HERRN SENATOR FRANK HORCH

Sehr geehrter Herr Dr. Mecke,

sehr geehrter Herr Fick,

sehr geehrter Herr Meier,

sehr geehrte Frau Dr. Kölle,

cher Monsieur Adéagbo

Innerhalb kurzer Zeit ist Airbus zum zweiten Mal Gastgeber eines besonderen Ereignisses. Vor wenigen Wochen besuchten Prinz William von Cambridge und Herzogin Kate gemeinsam mit ihren Kindern das Airbus-Werk. Das Königreich spielt eine Schlüsselrolle im globalen Airbus-Netzwerk, da die Tragflächen aller Airbus Flugzeuge hier in der Hamburger Fertigung britischer Herkunft sind.

Heute sind wir Gäste, Gäste der Verleihung eines der höchst dotierten Kunstpreise Hamburgs: dem Kunstpreis Finkenwerder.

Alle zwei Jahre macht sich die Hamburger Szene der bildenden Kunst per Auto oder Schiff nach Finkenwerder auf. Künstler, Galeristen, Kuratoren, Sammler, aber auch viele interessierte Kunstfreunde – von denen es, so zeigte sich in der Vergangenheit und auch heute – auch in Finkenwerder viele gibt. Für sie alle sowie die ehrenamtlich tätigen Mitglieder aus dem Kulturkreis Finkenwerder ist dieser Anlass immer wieder ein Fest.

Der Kulturkreis nimmt auch nach der großen Umstrukturierung, durch welche Finkenwerder plötzlich zum zweitgrößten Standort der europäischen Luftfahrtindustrie wurde, eine integrative Rolle ein. Er möchte den Zusammenhalt der Inselbewohner stärken – eine Hamburg zugehörige Gemeinschaft, die sich Tradition und Zukunft gleichermaßen verpflichtet fühlt.

Der „Kunstpreis Finkenwerder“ ist ein positives Beispiel einer gelungenen Kooperation. Airbus stiftet den Preis, während die Auslobung und die Organisation der Preisverleihung vom Kulturkreis gemeinsam mit Airbus gestaltet wird – eine Zusammenarbeit, die sich in den vergangenen 17 Jahren bewährt hat.

Heute steht der diesjährige Preisträger im Mittelpunkt: Georges Adéagbo

Mit Georges Adéagbo, der in Cotonou (Benin) und seit einigen Jahren für mehrere Monate im Jahr in Hamburg lebt, hat die Jury einen international agierenden und anerkannten Installationskünstler als Preisträger auserkoren.

Cher Monsieur Adéagbo: Je vous félicite chaleureusement au grand prix de l'art. - Ich gratuliere Ihnen sehr herzlich zu dem bedeutenden Preis.

Eine Kostprobe von der Arbeitsweise des Künstlers haben Sie bereits auf dem Weg in diesen Vortragsraum erhalten. Zwei Statuen haben uns begrüßt und ein großes Foto zeigt seinen Beitrag zur Shanghai Biennale 2016; er hat aber auch eine neue Arbeit in einer Vitrine geschaffen, der sogenannten ‚Boîte‘, in der er sich - diesem Ort angemessen - mit Gedanken über das Reisen, Fliegen und die Rolle von Airbus befasst.

Der Hamburger Öffentlichkeit zeigte sich der Künstler bereits 2014 und 2015 mit der Arbeit Inverted Space. Das Projekt wurde aus dem Elbkulturfonds der Behörde für Kultur und Medien gefördert und von der damaligen Stadtkuratorin Sophie Goltz gemeinsam mit Stephan Köhler begleitet.

Zu sehen waren fünf temporäre Installationen an markanten Orten kolonialer Geschichte in Hamburg, wie etwa am Denkmalensemble in Hamburg-Jenfeld. Anschließend hat er im Sommer 2015 für den Altonaer Balkon (vor dem Altonaer Rathaus mit Blick auf die Elbe) eine Vitrine entworfen, die auf der Einladungskarte für die heutige Veranstaltung abgebildet ist.

Adéagbos Arbeitsweise ist immer ortsspezifisch. In der Arbeit Inverted Space wurden Fundstücke aus Hamburg und Cotonou sowie in Antiquariaten oder auf Flohmärkten erworbene Bücher und Objekte verwendet. Er hat politische, kulturelle und historische Aspekte des kolonialen Erbes der Hansestadt untersucht und diese mit seinen persönlichen Geschichten zwischen Cotonou und Hamburg verknüpft, gemäß dem Text auf der Einladungskarte:

„Georges Adéagbo vertauscht die Rollen „Entdeckte“ und „Entdecker“, indem er unvoreingenommen an jedem Ausstellungsort Spuren der jeweiligen Kulturen sammelt und sie mit entsprechenden Dingen aus Westafrika durch seine Texte vernetzt. Er sucht in seinen Assemblagen gemeinsame Nenner von Lebensweisen, um zu zeigen, dass nur Kollaborationen die Probleme dieser Welt lösen können.“ – eine Einschätzung, der ich nur beipflichten kann.

Dass Georges Adéagbo zu einer Gastprofessur an der Hochschule für bildende Künste ab Oktober dieses Jahres eingeladen wurde, finde ich sehr erfreulich. Die so wichtige Auseinandersetzung mit dem (post)kolonialen Erbe Hamburgs wird die künstlerische Arbeit der Studierenden mit Sicherheit befruchten.

Jetzt bin ich gespannt auf Frau Dr. Kölle, denn sie wird uns mit ihrer Laudatio das vielschichtige Werk von Georges Adéagbo noch näherbringen.

Vorher möchte ich mich ganz herzlich bei allen Beteiligten für Ihren engagierten Einsatz für die bildende Kunst bedanken. Sie leisten damit einen bedeutenden Beitrag zur Kunstförderung der Freien und Hansestadt Hamburg.

Inzwischen füllen sie ganze Säle in Galerien und Kunstmuseen, sind Teil der Sammlungen des Museum of Art in Philadelphia und des Kölner Museum Ludwig oder des Moderna Museums in Stockholm.

Auch auf der Biennale in Venedig und der documenta ist Adéagbo gern gesehener Gast. Jetzt erhält er den Finkenwerder Kunstpreis – mit 20.000 Euro eine der höchstdotierten Kunstauszeichnungen in Europa.

Dabei versteht er sich gar nicht als Künstler: „Kunst ist in der Natur und immer schon da. Sie macht den Künstler“, behauptet er. Georges Adéagbo ist ein nachdenklicher und scheuer Mann, der im Gespräch fast abwesend wirkt, aber loslegt, wenn man ihn nach seinem Antrieb fragt: „Man muss etwas machen, und die anderen es dann sehen und darüber reden lassen. Jeden Tag, wenn ich spazieren gehe, finde ich weggeworfene Dinge und nehme diejenigen mit, die zu mir sprechen. Mit ihnen erzähle ich eine Geschichte“, sagt Adágbo und ergänzt: „Kunst ist eine Art zu leben, eine Art mit seinem Nächsten zu sprechen, ohne sich ihn zum Feind zu machen…“

Seit Anfang der 70er-Jahre erzählt er mit assoziativen Netzwerken Geschichten. Alles begann im Sand, im Hof des Hauses der Familie Adéagbo in der westafrikanischen Küstenstadt Cotonou. Aus reiner Not. George, Sohn aus wohlhabender Familie, studierte in Frankreich Jura und Betriebswirtschaft, als sein Vater starb, der drei Frauen und 11 Kinder hinterließ. Georges, der älteste Sohn, musste nach Afrika zurückkehren und die Rolle des Clan-Chefs übernehmen. Als er sich weigerte, stahlen Familienangehörige seinen Pass und isolierten ihn. Keiner sprach mehr mit ihm. In seiner Einsamkeit ging er stundenlang spazieren und begann zu sammeln, was die Stadt ihm in den Weg legte. Seine Fundstücke arrangierte er im Hof des Hauses: Zeitschriften, Schallplattenhüllen, Groschenromane, Kleidungsstücke, traditionelle Masken und Skulpturen. Strandgut kam dazu und viele handgeschriebene Kommentare – Netzwerke in immer neuen Variationen. Die Sammlungen wuchsen, die Familie erklärte ihn für verrückt, ließ ihn immer wieder in psychiatrische Kliniken einweisen.

Doch die Ärzte durchschauten die Intrigen der Angehörigen, ließen Georges Adéagbo meist schnell wieder gehen oder beschäftigten ihn als Betreuer.

Durch Zufall entdeckte ein französischer Kurator 1993 den Adéagbo-Hof und seine Schätze. Der Kunstexperte konnte sich an der Napoleon-Installation, die Adéagbo damals gerade kreierte, nicht sattsehen und zeigte die Fotos aus Benin seinen Kollegen. Nach 23 Jahren in der Isolation kehrte Adéagbo erstmals nach Europa zurück. Dann ging es Schlag auf Schlag: 1995 Installationen in Genf und London, 1997 die Biennale in Johannesburg, 1999 der Jury-Preis auf der Biennale von Venedig, 2002 documenta 11, 2009 abermals Venedig, 2014 Ausstellungen in Berlin, Stockholm und Rio.

Heute lebt Georges Adéagbo abwechselnd in Hamburg und Benin. Immer wieder zieht es ihn in seine Heimat zurück, wo er nun im Hof seines eigenen Ateliers seine Fundsachen arrangiert und die dazugehörigen Notizen mit Steinen beschwert, damit der Wind sie nicht verweht. Bis zur Dämmerung lässt er seine Erkenntnisse auf sich wirken, sammelt sie wieder ein und startet bei Tagesanbruch einen neuen Weltentwurf. Bis er wieder aufbricht und mit seinen Schätzen zum nächsten Ausstellungsort fliegt, dort weiter sucht, sammelt, liest und notiert, um das Gefundene in seine nächste „Geschichte“ zu verweben…

  • Kulturkreis Finkenwerder e.V.
  • Benittstraße 26
  • 21129 Hamburg-Finkenwerder
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